Judith Rauch schreibt: Reader´s Digest Oktober 2000

Friedensmission im Kosovo

Im Süden des Kosovo, rund um die Stadt Prizren, leisten deutsche Bundeswehr-Soldaten im Rahmen der KFOR-Mission ihren Dienst. Einer von ihnen ist Marko Hensel aus Mecklenburg-Vorpommern.

Es ist 12.40 Uhr an einem Freitagmittag im Kosovo. Durch die engen Gassen der Altstadt von Prizren patrouillieren drei Soldaten: Hauptgefreiter Marko Hensel, Oberfähnrich Stefan Brych und Patrouillenführer, Oberfeldwebel Thomas Pfannkuchen. Drei von 6000 deutschen Soldaten, die im Rahmen der KFOR-Mission im Kosovo den Frieden sichern, indem sie Grenzen überwachen, Minen räumen, zerstörte Häuser aufbauen oder, wie diese drei, für Ruhe und Ordnung sorgen - in einer von Krieg, Vertreibung, ethnischen Spannungen und Kriminalität geprägten Stadt.

Marko Hensel trägt einen oliv-braunen Kampfanzug, ein grünes Barett, das ihn als Panzergrenadier ausweist, und eine dicke Schutzweste, die 14 Kilo wiegt. Über der Schulter des 23-Jährigen hängt ein Gewehr, auf seinem Rücken ein Funkgerät - beide wiegen noch mal je vier Kilo. Mit dem Funkgerät, das wie ein Telefonhörer aussieht, gibt er Meldungen an die Einsatzzentrale durch: von "Alpha", "Zulu", "Charlie", "Hotel" ist die Rede. Damit codieren die Streifengänger sich selbst oder die Objekte, die sie zu bewachen haben: Häuser, Kirchen, Büros, sogar ganze Stadtviertel.

Eines der Objekte sticht uns sofort ins Auge. Ein Wohnhaus mit kleinem Vorgarten, mit Stacheldraht gesichert. Die Treppe ist mit Sandsäcken ummauert, an den Wänden Spuren einer Explosion. Hier wohnt eine serbische Familie. Seit Monaten wird sie von deutschen Soldaten bewacht.

Im Wohnzimmer sitzen schon zwei von ihnen. Die Hausherrin, eine alte Frau, bringt Kaffee und Tee. Patrouillenführer Pfannkuchen erkundigt sich, ob alles in Ordnung ist. Für diese Routine-Checks braucht er keinen Dolmetscher. Dann zieht sich die alte Dame wieder zurück. Nein, sie will nicht schon wieder berichten, von den Drohungen, der Explosion oder darüber, wie ihr Mann ums Leben kam.

Während wir bedrückt in dieser Festung sitzen, fängt Marko Hensel zu erzählen an. Für ihn ist diese Familie zu einer Art zweiten Heimat im Kosovo geworden. Er mag den Nusskuchen, den die alte Frau für die Beschützer backt.

Markos eigentliche Heimat liegt über tausend Kilometer entfernt: das Städtchen Demmin in Mecklenburg-Vorpommern. Dort wohnen seine Eltern, ist er zur Schule gegangen und hat eine Banklehre absolviert. Ein halbes Jahr war er arbeitslos, dann zog ihn die Bundeswehr ein. Im April 1999 war er noch Wehrdienstleistender in Basepohl, unweit von Demmin. Doch Ende April berief sein Kompaniechef eine Versammlung ein und stellte die Frage: "Wer möchte freiwillig mit zu einem Einsatz bei den KFOR-Truppen im Kosovo?" Wer wollte, wurde zu den Panzertruppen oder -grenadieren in Brandenburg versetzt. Knapp 30 Soldaten aus Basepohl meldeten sich, 23 von ihnen wurden nach verschiedenen Prüfungen für den Einsatz angenommen. Auch Hensel.

Die Entscheidung fiel ihm nicht leicht: Im Kosovo herrschte noch Krieg, die Nato warf Bomben über serbischen Stellungen ab. Sogar ein Angriff mit Bodentruppen wurde erwogen. Vier Wochen lang diskutierte Marko mit Eltern, Kameraden und Bekannten, ob er das Risiko eingehen sollte. Dann stellte er den Antrag auf Verlängerung seiner Wehrpflicht von zehn auf 19 Monate, sechs davon im Kosovo. Warum? Er versprach sich ein Abenteuer, ein Erlebnis, von dem er lange zehren würde. Und auch das Geld lockte: 180 Mark Sonderzuschlag pro Einsatz-Tag auf den kargen Wehrsold von 500 Mark monatlich. Mit dieser Summe würde er nach dem Einsatz sein Wirtschaftsstudium finanzieren können. Danach hieß es erst einmal: warten. Endlich, am 16. November, ging es los. Er flog vom Militärflughafen Köln-Wahnheide nach Skopje in Mazedonien, von dort ging es im Bus nach Prizren im Süden des Kosovo.

Marko und seine Kameraden von der Einsatzbrigade Prizren bewegen sich meist zu Fuß oder im Geländewagen, dem "Wolf".
16.00 Uhr. Für Marko und seine Kameraden ist eine "Radstreife" angesagt - Abfahren weiter abgelegener Objekte mit dem "Wolf". Sie besuchen drei Büros, in denen sich die Einwohner von Prizren für die diesen Herbst geplanten Kommunalwahlen registrieren lassen können. Beamte der UNMIK - United Nations Interim Administration Mission in Kosovo - und lokale Angestellte schreiben die Namen auf und geben Ausweise aus. Die KFOR-Soldaten fragen nach Zwischenfällen und führen Statistik: Wie viele Wähler haben sich gemeldet? Welchen Volksgruppen gehören sie an? Wie es scheint, trauen sich fast nur Albaner und Türken - die muslimische Mehrheit - in die Büros. Christlich-orthodoxe Serben, die nach wie vor Racheakte der so lange unterdrückten Albaner fürchten müssen, und andere Minderheiten fehlen bisher in der Wählerstatistik. 16.40 Uhr. Wir fahren zum Stadtrand, um ein Wohngebiet zu kontrollieren. Am Wegrand winken Kinder. "Hallo Nato!", rufen sie. Wir erleben diese Szenen häufig. Wann immer wir mit den Uniformierten unterwegs sind, zu Fuß oder im Jeep: Kinder kommen aus allen Ecken angelaufen, wollen den Soldaten winken, sie begrüßen, sie anfassen.

Auch in den beiden Roma-Wohnsiedlungen, die wir jetzt besuchen, hören wir Kindergejohle. Die Nato hat Plüschtiere mitgebracht. Sie sind übrig geblieben von einer Initiative, bei der Kosovo-Kinder ihre Spielzeugwaffen gegen Stofftiere eintauschen konnten. Die Erwachsenen haben andere Sorgen. Wie fast überall in Europa sind die "Zigeuner" schlecht angesehen, manche sind bitterarm und leben in erbärmlichen Hütten. Von den Hilfsgütern, die von über hundert humanitären Organisationen im Kosovo verteilt werden, bekommen sie nicht immer ihren gerechten Anteil ab. Marko Hensel hat im Winter Roma-Kinder barfuß durch den Schnee laufen sehen. Zwei Männer reden auf Deutsch und Englisch auf uns ein. Das Problem: Am Straßenrand häuft sich ein Müllberg. "Es wird immer schlimmer! Die Kinder holen sich Infektionen!" Oberfeldwebel Pfannkuchen verspricht, bei der UNMIK wegen eines Müllwagens nachzuhaken. Nachdem auch das letzte Baby sein Kuscheltier im Arm hält, fahren wir ab. Alle winken: "Tschüss, Nato!"

Die Stadt Prizren mit ihren vielen Moscheen, ihrer historischen Steinbrücke und der über der Stadt thronenden Burg wird am Abend richtig schön. Musik dringt aus den Cafés, an den Tischen im Freien sitzen Junge und Alte, essen Eis, trinken Bier oder Cola. Doch um ein Uhr nachts ist Schluss - Ausgangssperre für alle Bürger bis morgens um vier. Nur wer Bäcker ist, Notarzt oder Krankenschwester, darf mit einer Ausnahmegenehmigung auf der Straße sein. Diese Maßnahme hat die KFOR verhängt, um die Kriminalität einzudämmen: Diebstähle, Brandanschläge, nächtliche Schießereien sind seitdem seltener geworden. Seit Viertel vor eins ist Pfannkuchen mit seinen Kameraden wieder auf Streife mit dem "Wolf".

Kurz nach Beginn der Ausgangssperre ist immer etwas los. Vergessliche, Betrunkene, Provokateure sind unterwegs. Die KFOR-Truppe hat das Recht, sie festzunehmen. Sie liefert sie bei der Militärpolizei ab, die die Namen registriert, harmlosere Bürger nach Hause schickt und verdächtigere Elemente bis zum Morgen in Gefängniszellen sperrt.

Heute nacht ist besonders viel Trubel zu erwarten: Roma und Albaner feiern ihr Frühlingsfest. Und tatsächlich: Viertel nach eins bemerkt unsere Streife den ersten verspäteten Fußgänger, einen älteren Mann. Pfannkuchen kontrolliert die Papiere, stellt den Mann an eine Hauswand und tastet ihn nach Waffen ab. Brych hält sein Gewehr einsatzbereit. Hensel holt aus dem Wagen einen so genannten Kabelbinder, fesselt dem Ertappten die Hände auf dem Rücken. Der stammelt Entschuldigungen: Er sei Barbesitzer, habe noch späte Gäste gehabt. "Meine Frau wohnt gleich dort drüben." Und: "Es ist doch das erste Mal!" Auch ohne Dolmetscher klappt die Verständigung, da fast alle Kosovo-Albaner etwas Deutsch sprechen und verstehen.

Dann geht es Schlag auf Schlag. Zwei Taxis, einer der Fahrer hat keine Ausnahmegenehmigung. Noch ein Fußgänger. Und noch einer. Der torkelt ein wenig, riecht nach Alkohol und behauptet, er sei Bäcker und auf dem Weg zur Arbeit. Eine Genehmigung hat er nicht dabei. Wir staunen, in welcher Geschwindigkeit drei Soldaten vier Männer festnehmen und bewachen können. Dann warten alle auf den Sammeltransporter der KFOR, der bei Bedarf über Funk angefordert wird und die Delinquenten abholt. Auf der Ladefläche des Zweitonners sitzen schon vier arme Sünder, unsere vier steigen zu.

Gegen zwei Uhr wird es wirklich still in Prizren. Gegen vier treffen wir unseren Betrunkenen von vorhin wieder. Er steht im Eingang einer Bäckerei, ist immer noch blau und winkt uns fröhlich zu. Hensel, Brych und Pfannkuchen können jetzt ein wenig schlafen, auf den ungemütlichen Pritschen in der Einsatzzentrale der Stadt, einem ehemaligen Kasino der jugoslawischen Armee. Erst um zehn Uhr haben sie wieder Streifendienst - zu Fuß in der City.

Wir Journalistinnen nutzen den Tag zu einer Fahrt über Land zusammen mit zwei Begleitern vom Presse-Informationszentrum der Bundeswehr in Prizren. Was wir bisher gesehen haben - die Stadt Prizren mit ihren geschäftigen Einwohnern, ihren wohlgefüllten Läden und nur wenigen zerstörten Häusern -, das kann nicht die ganze Geschichte sein, ahnen wir. Wo sind die Spuren des Krieges und des Völkerhasses, die den aufwändigen Nato-Einsatz rechtfertigen?

Wir finden sie. Ein paar Kilometer außerhalb von Prizren ein frisch angelegter Friedhof. Dort sind ehemalige Kämpfer der UÇK beerdigt, der inoffiziellen Armee der Kosovo-Albaner, die das Land gegen Milosevics Armee verteidigt hat. Die Fotos auf den Grabsteinen zeigen junge Männer zwischen 20 und 35 Jahren. Ein Bus hält, eine Besuchergruppe steigt aus. Die Stätte scheint zum Wallfahrtsort zu werden. Hoch in den Bergen ein ehemaliges serbisches Dorf. Hier steht kein Haus, lebt kein Mensch mehr. Nur brandgeschwärzte Ruinen, zwischen denen Schafe grasen. Was von Wert war, haben Plünderer abtransportiert.
Auch der Friedhof wurde nicht verschont: Die Grabsteine sind umgestürzt. Hier ruht ein Mann namens Stanimir Bekic (1926 bis 1992). Für seine Frau, ebenfalls 1926 geboren, war das Nachbargrab vorgesehen. Doch sie wird wohl niemals hier begraben werden. Ob sie wohl noch lebt - und wo? Die ehemalige Kirche bietet einen traurigen Anblick. Ausgeräubert, ausgebrannt. Zu einem Wachsklumpen zerschmolzene Kerzen am Boden. An den Außenwänden farbtriefende Parolen der UÇK. Wir beginnen zu begreifen, warum die KFOR die Gotteshäuser in der Stadt und ihre Popen schützt.

Auf der anderen Seite des steilen Tals ist ein albanisches Dorf zu sehen, intakt. Dort will niemand gesehen oder gehört haben, was mit den serbischen Nachbarn geschehen ist, berichten die Presseleute der Bundeswehr. In einem anderen Dorf ein Friedhof mit 75 Grabstätten. Die Namen albanisch, die Toten zwischen zwei und 70 Jahren alt. Es gibt nur zwei Sterbedaten auf den Grabsteinen: der 25. und der 26. März 1999. An diesen Tagen haben hier serbische Sondereinheiten ein Massaker verübt. Frauen und Kinder kommen hierher, um ihre Verwandten zu beweinen.

Aufatmen, zwischendurch gibt es auch andere Bilder zu sehen: Im Dorf Bilusa haben Väter die zerstörte Schule ihrer Kinder neu gebaut. Der Rohbau steht. Das Material haben Bundeswehrsoldaten geliefert; es wurde aus Spendengeldern finanziert. Obwohl Samstag ist, stehen die Männer auf Leitern im Inneren und verputzen die Decken.

Beim Mittagessen im Hauptquartier in Prizren treffen wir auf eine illustre Gruppe von Offizieren und Diplomaten. General Juan Ortuño aus Spanien, der Kommandant der KFOR-Truppen, ist aus der Hauptstadt Pristina gekommen, um seinen Antrittsbesuch beim deutschen Kontingent zu machen. Thema: Wann wird die Zeit reif sein für die Rückkehr der 200 000 serbischen Flüchtlinge, die noch außerhalb des Kosovo leben, und wie können sie wieder integriert werden?

Während die Generäle speisen, ist Marko Hensel wieder auf Fußstreife. Es gibt Probleme mit einem Falschparker, und Marko, der gut Englisch spricht, hilft bei der Verständigung mit der UNMIK-Polizei. Auch das gehört zu den Aufgaben eines deutschen Soldaten im Kosovo. Nachmittags liest er ein Stück in einem Buch - die Zeit zwischen den Schichten will gefüllt werden. "Ich habe noch nie in meinem Leben so viel gelesen wie hier", sagt Marko. Alternative zum Lesen ist das Briefeschreiben. "Keiner meiner Briefe nach Hause ist kürzer als vier Seiten." Die Eltern und etliche Freunde schreiben zurück und bombardieren ihn mit Fragen: Ist es wirklich so gefährlich im Kosovo, wie man es bei uns im Fernsehen sieht? Meist kann Marko sie beruhigen.

Zurzeit ist sein "Zuhause" ein Feldlager im Norden von Prizren, in dem rund 1000 deutsche Soldaten auf einem ehemaligen Militärgelände der jugoslawischen Armee in Häusern, Zelten und Containern leben. Hensel hat es relativ gut getroffen: Er ist in einem Haus untergebracht. Allerdings teilt er seine Stube, zu der ein winziges Bad gehört, mit fünf Kameraden. Entsprechend eng ist es, alles voll gestellt mit Rucksäcken und Taschen. An Wäscheleinen, die quer durchs Zimmer gespannt sind, hängen ein paar Kleidungsstücke.
Die zweistöckigen Pritschen sind der einzige "private" Raum; hier haben die Soldaten Fotos der Verwandten und - so weit vorhanden - der Frauen und Freundinnen an die Wand gepinnt. Allerdings auch Fotos von Frauen, die ihnen völlig unbekannt sind und die sich splitternackt den Blicken darbieten: Pin-ups aus Sex-Zeitschriften als Ersatz für das, was die jungen Männer hier sechs Monate entbehren müssen.

Um zwölf Uhr wird Hensel zusammen mit 20 Kameraden, die mit ihm Dienst hatten, im Flur antreten müssen: Strammstehen, um Termine und Informationen des Zugführers entgegenzunehmen. Die erfreulichsten Informationen betreffen den bevorstehenden Rückflug nach Deutschland - in 14 Tagen ist es so weit! Dann werden die Panzergrenadiere des dritten KFOR- Kontingents durch ihre Nachfolger vom vierten Kontingent abgelöst. Und schon übermorgen ist "Medal Parade": Marko Hensel und seine Kameraden werden dann bei einem Festakt die KFOR-Einsatzmedaille der Bundeswehr und die blau-weiße Nato-Medaille erhalten. Darauf freut er sich schon: "Das ist etwas, worauf ich stolz sein kann!" Am Vortag haben wir eine solche Parade beobachtet. Rund 200 Soldaten eines Logistik-Regiments und ein kleines Fernmelder-Bataillon waren auf einem ehemaligen Bauhof zum Medaillen-Empfang angetreten. Eine bewegende Feier mit Reden, Fahnen und Nationalhymne.

 Für Marko Hensel waren die sechs Monate "eigentlich nicht sehr gefährlich", wie er sagt. Keine Leiche gefunden, nicht beschossen oder bedroht worden, auch selbst keinen Gebrauch von der Waffe gemacht. "Fast zu wenig Abenteuer", will ihm scheinen. Statt Mut war eher Disziplin gefragt, das Aushalten der immer gleichen Dienstroutine. "Gelohnt hat es sich trotzdem", sagt er. "Weil wir hier das Gesetz vertreten. Und das ist wichtig für die Zukunft der Kinder." Eine Menge Fotos hat er auch gemacht, die er den Daheimgebliebenen zeigen kann.

Am Montag, seinem zweiten freien Tag, bevor wieder eine 48-Stunden-Schicht beginnt, wird Marko Hensel und 20 seiner Kameraden noch einmal etwas Besonderes geboten: eine Fahrt mit dem Zweitonner zu einem Waffenlager in Dinovce. Hier sammelt die Bundeswehr in einer Halle, die durch Stacheldrahtrollen und Panzer gut gesichert ist, die illegalen Waffen, die sie bei Kontrollen in kosovarischen Häusern und Autos erbeutet hat. Über den Hof schlurft ein dunkelhaariger Albaner mit traurigem Gesicht. Er trägt vier Flinten über der Schulter. Seine grüne Uniform mit dem Abzeichen TMK weist ihn als Mitglied der "Kosovo-Schutz-Truppe" aus, der legalen Nachfolge-Organisation der UÇK. "Die KFOR bildet diese Leute zu einer Art Technischem Hilfswerk aus, für Katastrophenschutz, Feuerwehr und so weiter", erklärt uns Leutnant Pierre Steuer, Verbindungsoffizier der Bundeswehr zur TMK. "Ihre Waffen haben sie abliefern müssen; doch ein paar von ihnen haben die Erlaubnis, sie hier unter unserer Aufsicht zu pflegen." Tatsächlich: In einem Schuppen nebenan sitzt noch ein anderer ehemaliger UÇK-Mann beim Waffenputzen. Vielleicht werden sie ihre Jagdflinten sogar eines Tages wiederbekommen - ganz legal, mit Waffenschein.

Der Ausflug geht weiter nach Suva Reka ins internationale Camp "Casablanca". Hier tun Deutsche, Schweizer, Österreicher, Slowaken und Bulgaren gemeinsam Dienst. Marko Hensel und seine Kameraden können beobachten, dass ein höherer Frauenanteil in den europäischen Nachbar-Armeen durchaus auch Romantik mit sich bringt: Ein österreichischer Flieger macht einer Schweizer Panzerfahrerin galant den Hof.

Oberstleutnant Klaus Geier, der Chef des Bundeswehr-Pressestabs in Prizren, plagen derweil schwarze Gedanken. Auf dem Markt in Prizren ist an diesem Morgen ein Mann erschossen worden, mit sechs Kugeln aus dem Hinterhalt. Nicht irgendeiner, sondern der Umweltbeauftragte der Stadt, Ekrem Rexha, ein angesehener Mann. Zu UÇK-Zeiten war er unter dem Namen "Kommandant Drini" bekannt. Hensels diensthabende Kameraden haben überall in der Stadt Kontrollpunkte errichtet, um nach den Mördern und ihrem Auto zu fahnden. Auch Brigadegeneral Roland Kather, mit dem wir am Abend sprechen, ist von dem Mordanschlag betroffen. Er hat oft mit "Drini" als Vertreter der Stadtverwaltung zusammengearbeitet. Der Anschlag zeige, dass die Situation in Prizren "zwar relativ ruhig ist, aber noch nicht stabil". Ein fragiler Frieden … "Wird die Nato bleiben, bis der Frieden sicher ist?", fragen wir ihn. Kather: "Wir werden erst abziehen, wenn wir Erfolg hatten und das Kosovo stabil und demokratisch ist."

Nachdenklich verlassen wir das Hauptquartier. Selbst hier auf dem Hof wimmeln Kinder herum: "Hallo!" Wir verstehen allmählich, warum diese Kinder so dankbar sind. Die Nato ist zu ihnen gekommen, um sie zu beschützen. Die Soldaten haben ihnen nicht nur Stofftiere mitgebracht, sondern ihnen auch ein Fenster zu einer besseren Welt geöffnet, eine Vision von Frieden, Wohlstand und Demokratie. Wir hoffen inständig, dass General Kather sein Versprechen halten kann: "Abzug erst nach dem Erfolg." Wann es so weit sein wird? In fünf Jahren? In zehn? Marko Hensel wird dann vielleicht in einer Bank irgendwo in Deutschland in der Zeitung vom Abzug der Nato-Truppen aus dem Kosovo lesen. Er wird die Börsennachrichten beiseite legen und die Blumen werfenden Kinder des Kosovo vor Augen sehen. Vielleicht wird er in alten Fotos kramen und sie seinen eigenen Kindern zeigen: "Ich war dabei." 


JUDITH RAUCH

Home | Kontakt | Datenschutzerklärung | Impressum

Fenster schließen